Kolumne 911 vom 5.06.2018: Der Traum der Besitzlosen05.06.18 (von maj) 1955 kamen bei der Bandung-Konferenz die blockfreien Staaten zusammen. Sie inspirierte auch die Emanzipationsbewegungen der Schwarzen in den USA
Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 127 vom 5. Juni 2018: Bitte HIER klicken! Der Traum der Besitzlosen Welche Überraschung, als ich nun, über 50 Jahre später, erneut über Bandung las. 1956 hatte der afroamerikanische Schriftsteller Richard Nathanial Wright (1908-1960) sein Buch »The Color Curtain: A Report on the Bandung Conference« veröffentlicht. Wright näherte sich dem Thema vom Standpunkt der Psychiatrie und Psychologie, weil ihn am menschlichen Handeln interessierte, durch welche Triebkräfte des Unbewussten es beeinflusst wird. Er gab deshalb der psychologischen Analyse des Themas den Vorzug vor der politischen, also den inneren Einflüssen vor den äußeren. Statt die Klassenverhältnisse zu analysieren, legte er den Schwerpunkt auf religiöse und ethnische Zugehörigkeit als Schlüssel zur Herausbildung der Identität von Menschen. Für ihn war die Bandung-Konferenz eine Versammlung der besitzlosen Völker dieser Welt, die sich sowohl vom Nordatlantikpakt der kapitalistischen Staaten als auch vom Pakt der sozialistischen Staaten abwandten, um den Weg der sogenannten Bewegung der Blockfreien zu beschreiten. Als Wright damals von der bevorstehenden Bandung-Konferenz hörte, war er überwältigt von der schieren Anzahl der Menschen der Länder und Völker, die auf der Konferenz vertreten waren: China, Indien, Indonesien, Japan, Äthiopien, die westafrikanische Goldküste und die Philippinen sowie gut zwei Dutzend weitere. Insgesamt waren es 23 asiatische und sechs afrikanische Länder, die zusammen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentierten. Als Wright seiner Frau erzählte, dass er zur Konferenz fahren werde, und ihr einen Zeitungsartikel darüber zu lesen gab, sagte sie: »Das ist ja die ganze Menschheit!« Und damit hatte sie völlig recht. Aber Nationen sind Nationen, und sie legen nur ungern die eisernen Ketten ihrer Eigenständigkeit ab. So schafften es die Blockfreien in Bandung nicht, ihren Traum zu verwirklichen und ihre ungeheuren Potentiale völlig auszuschöpfen. Könnten sie es heute schaffen, in diesem »neuen Jahrhundert«, bedroht von einem habgierigen Kapitalismus, der im Gewand des Neokolonialismus daherkommt? Der Westen möchte die Mehrheit der Menschheit an seine repressiven Systeme ketten und ihre eigenständige Entwicklung einschränken. Kann die Welt, kann die Menschheit erneut das Banner der Selbstbestimmung, des Befreiungskampfs und der Freiheit erheben? Kann der Geist von Bandung dazu beitragen, eine neue Weltmacht der überwältigenden Mehrheit der Völker der Welt zu schaffen? Können es die Menschen in Afrika und Asien schaffen, sich erneut als ganze Gesellschaften zu erheben und für ihre Interessen einzutreten? Wir werden Antworten auf die Frage finden müssen, ob die Träume von damals Wirklichkeit werden können. Übersetzung: Jürgen Heiser |
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