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Kolumne 877 vom 9.10.2017: Vor dem nächsten Massenmord

09.10.17 (von maj) Nach dem Massaker von Las Vegas fragt sich nur, wann so ein Ereignis die USA erneut trifft

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 234 vom 9. Oktober 2017: Bitte HIER klicken!

Vor dem nächsten Massenmord
Während eines Open-Air-Konzerts ist plötzlich Gewehrfeuer zu hören, aber im Publikum scheinen nur wenige Menschen die wahre Bedeutung dessen zu realisieren, was sie wahrnehmen. Einige denken, da explodieren irgendwo in der Ferne Feuerwerkskörper. Andere führen das merkwürdige Geknatter auf die Rotorblätter eines Helikopters zurück, der hoch über ihnen seine Runden dreht. Manche vermuten sogar, es handele sich um ganz besondere Soundeffekte des Konzerts der Country-Band auf der Bühne. Aber dann, ganz plötzlich, verstummt die Musik. Menschen stürzten zu Boden, ihre Körper blutüberströmt von den Wunden, die die einschlagenden Projektile reißen. Und langsam, ganz langsam wie in einem Traum oder einer sich ins Bewusstsein drängenden realen Horrorshow, dämmert es vielen im Publikum, was hier gerade passiert. Und dann gellen Schreie durch die Nacht, während das Dauerfeuer einer automatischen Waffe über den Platz hallt.

An diesem Sonntag abend reiht sich eine weitere Stadt ein in das unaufhörliche Blutbad, das so typisch ist für die Vereinigten Staaten von Amerika. In nur 15 Minuten sterben mehrere Dutzend Konzertbesucher, und mehr als 500 werden verletzt. Mit den furchtbaren Geschehnissen wird eine neue Seite aufgeschlagen in diesem unverwechselbar US-amerikanischen Buch, dessen neues Kapitel jetzt die Spielerstadt Las Vegas in der Wüste von Nevada mit dem »tödlichsten Massaker in der US-Geschichte« schrieb. Politiker und Polizisten kotzen sich vor Fernsehkameras aus und verfluchen den Todesschützen, dessen Leiche im 32. Stock eines Hotels gefunden wird. Von ihm, der einmal ein Mensch war, bleibt jetzt nur noch eine Zahl. Denn er ist jetzt der vorläufig letzte Tote des Abends, Nummer 60, getötet von eigener Hand. Die Zahl kann noch steigen, weil einige der Schwerverletzten noch zwischen Leben und Tod schweben.

Politiker scheinen niemals hilfloser zu sein als solchen Momenten. Mit größten Machtbefugnissen eines machtvollen Systems ausgestatteten Politikern fällt angesichts einer solch dramatischen Situation nichts anderes ein, als für die Ermordeten zu beten. Sonst nichts. Warum sind sie so hilflos? Weil sie ihre Seelen und ihre Macht bereitwillig an Waffenlobbyisten wie die der »National Rifle Association« (NRA) verkauft haben.

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Da der Killer sich selbst gerichtet hat, wird er niemals das jahrelange Grauen der Haft in einer Gefängniszelle erleben oder mit einem Todesurteil vor seinen Henker treten. Wie in den unzähligen Fällen davor werden sich Politiker wieder routiniert in der Öffentlichkeit zeigen, mit gebeugten Häuptern beten und die Nationalflaggen auf halbmast setzen. Mehr wird auch dieses Mal nicht passieren.

2012 galt der Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule in Newton im US-Bundesstaat Connecticut mit 20 ermordeten Kindern und sieben Erwachsenen als das bis dahin schlimmste Massaker der USA. 2016 wurde es als bis dahin »folgenschwerster Massenmord in den Vereinigten Staaten« abgelöst durch das Attentat auf den Nachtclub »Pulse« in Orlando im US-Bundesstaat Florida mit 50 Todesopfern. Wieder und wieder fiel den Politikern nichts anderes ein, als mit Gebeten auf diese Verbrechen zu reagieren. Und jetzt wurden wir Zeugen eines weiteren Massakers mit 59 Mordopfern, das nunmehr als »das tödlichste« gilt in der langen Geschichte dieser Bluttaten. Bis zum nächsten Mal, wenn ein neues Massaker den ersten Rang »mit dem meisten Opfern« einnehmen wird.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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