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Kolumne 865 vom 17.07.2017: Die stille und tödliche Gewalt

17.07.17 (von maj) Über die sogenannte Gewaltfrage im Kapitalismus und das »Gesetz«, das immer schon ein Werkzeug der Mächtigen war, um ihre Interessen zu schützen

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 163 vom 17. Juli 2017: Bitte HIER klicken!

Die stille und tödliche Gewalt
Der Inder Mahatma Gandhi (1869–1948) sagte einmal, Armut sei »die tödlichste Form der Gewalt«. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind eine wahrhaft gewalttätige Nation, wie Tausende Fälle von alltäglicher Gewalt zeigen. Jedes Jahr sterben mehr als 20.000 Menschen durch die Hand ihrer Mitmenschen, und weitere 20.000 töten sich selbst. Wenn wir noch alle Fälle nichttödlicher Gewalt hinzunehmen, die US-Bürger einander jeden Tag zufügen, bekommen wir eine Ahnung davon, von welchem Fieberrausch der Gewalt diese Nation erfasst ist.

Daran lassen sich aber noch längst nicht alle Merkmale der Gewalt im alltäglichen Leben inmitten des »amerikanischen Imperiums« festmachen. Wir leben in einem Land, das in noch höherem Maße eine weit verbreitete »strukturelle« Gewalt ignoriert und duldet, die menschliches Leben mit einer atemberaubenden Erbarmungslosigkeit vernichtet.

Dr. James Gilligan, ehemals Psychiater im Strafvollzug des US-Bundesstaats Massachusetts, schrieb dazu in seinem 1996 in New York erschienenen Buch »Violence: Reflections On a National Epidemic« (etwa: »Gewalt: Überlegungen zu einer nationalen Epidemie«): »Mit ›struktureller Gewalt‹ meine ich die wachsende Rate von Todesfällen und Invalidität, erlitten von jenen, die sich auf der untersten ­sozialen Stufe der Gesellschaft befinden, im Gegensatz zu denen, die über ihnen stehen. Dieses Übermaß an Todesfällen ist Folge der Klassenstruktur; und diese Struktur ist an sich ein Produkt der kollektiven Entscheidungen der Gesellschaft, wie man den kollektiven Reichtum der Gesellschaft verteilt. Das ist nichts von Gott Gegebenes.«

Diese Form der Gewalt, über die die maßgeblichen und im Sinne der herrschenden Klasse fungierenden Medien nicht berichten, ist für uns unsichtbar, und wegen ihrer Unsichtbarkeit umso heimtückischer. Dazu, wie gefährlich sie für uns ist, merkt Gilligan an: »Im Durchschnitt sterben alle fünfzehn Jahre genauso viele Menschen durch relative Armut wie durch einen Atomkrieg mit 232 Millionen Todesopfern. Dies ist in der Tat das Äquivalent eines fortlaufenden und unendlichen, sich (…) Jahrzehnt für Jahrzehnt beschleunigenden Krieges gegen die Schwachen und Armen der ganzen Welt.«

Schlimmer noch, in einer durch und durch kapitalistischen Gesellschaft wurde viel von dieser Gewalt verinnerlicht, fiel zurück auf jeden einzelnen. Denn in einer Gesellschaft, die der Profitmaximierung höchste Priorität einräumt, werden diejenigen, die nichts besitzen, gelehrt, sich selbst zu verabscheuen. Gerade so, als ob von Natur aus etwas falsch wäre an ihnen statt an der gesellschaftlichen Ordnung, die diese Selbstverachtung fördert. Eine der Folge davon ist die wachsende Gewalt im familiären Bereich.

Diese tödliche und systematische Gewalt kann man den »Krieg gegen die Armen« nennen. Er findet in jedem Land statt, ist verschüttet in den Tiefen der Geschichte, aber immer gegenwärtig, so allmächtig wie der Tod. In diesem Prozess war das »Gesetz« immer schon ein Werkzeug der Mächtigen, um ihre Interessen zu schützen. Es war und ist eine Waffe gegen die Armen und Besitzlosen. Bestraft wurde immer schon die Gewalt im kleinen, am Boden der Gesellschaft, während angesichts der Gewalt im großen Stile, die von der herrschenden Klasse tagtäglich ausgeübt wird, beide Augen zugedrückt werden, ganz egal, wie repressiv dieser Status quo auch war oder ist.

Gesellschaftliche Systeme wie unseres setzen im wesentlichen das fort, was sich in Tradition und Gewohnheit konkretisiert hat, ohne Rücksicht darauf, ob diese Verhältnisse richtig sind. Indes darf kein System, das die Menschen derart schädigt, bestehen bleiben. Systeme müssen dem Leben dienen oder als Bedrohung und Lebensgefahr verworfen werden. Solche Systeme müssen untergehen und mit ihnen die furchtbare Gewalt, die sie ausüben.
Übersetzung: Jürgen Heiser

Diese bisher auf Deutsch unveröffentlichte Kolumne stammt aus dem September 1998. Sie ist in ihren Grundzügen noch so aktuell, dass sie sich wie ein Kommentar zu der von den Mächtigen gegen die antikapitalistische und antiimperialistische Opposition propagandistisch hochgezogene »Gewaltfrage« um den G-20-Gipfel in Hamburg liest. (jh)

 
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