Kolumne # 856 vom 15.05.2017: Neoliberale Utopien – und Alpträume15.05.17 (von maj) Unter der Herrschaft der unkontrollierten Kapitalakkumulation des Neoliberalismus werden in den USA Minderjährige in die Hölle der Erwachsenenknäste geworfen
Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 112 vom 15. Mai 2017: Bitte HIER klicken! Neoliberale Utopien – und Alpträume Das wird hier jedoch keine Buchrezension, geschweige denn eine Besprechung ihrer Science-Fiction-Erzählung, denn ich muss gestehen, ich habe das Buch von Le Guin gar nicht gelesen. Aber ich habe die von der Philosophin Elizabeth Povinelli verfasste Einleitung ihres eigenen Werkes »Economies of Abandonment« (»Ökonomien der Verlassenheit«) gelesen, in dem sie unter der Überschrift »The Child in the Broom Closet« (»Das Kind in der Besenkammer«) den Inhalt von Le Guins Kurzgeschichte wiedergibt. In der Stadt Omelas lebt ein Kind in einem dunklen, stinkenden Raum von der Größe einer Besenkammer. Sein Körper ist bedeckt mit Geschwüren, es ist umgeben von Schmutz und Unrat. Jeder in Omelas weiß davon; aber jeder im Ort ist glücklich. Sie gehen ihrem alltäglichen Leben nach, ihrer Arbeit und ihrem Freizeitvergnügen. Insgeheim kennt jedoch jeder das Geheimnis von dem schweren und unendlichen Leiden des kleinen Mädchens. Povinellis Schilderungen legen nahe, dass das Glück der Einwohner von Omelas geradezu auf dem Leiden dieses gequälten, in Schmerz und Furcht allein gelassenen Mädchens beruht. Es vegetiert dort nackt, geschlagen und ohne Liebe vor sich hin, und wenn doch eine sensible Seele das offene Unrecht seiner jämmerlichen Existenz empfindet, kühlen die darüber vergossenen heißen Tränen sehr schnell wieder ab unter der simplen, eisigen Realität, dass die die Dinge nun mal so sind in Omelas. Unter der Last dieses schmerzlichen Wissens kehren dennoch einige Bewohner dieser Stadt des Glücks den Rücken. Povinelli nutzt Le Guins fiktionale Geschichte als Ausgangspunkt für ihre Abhandlung über unsere gegenwärtige Realität unter dem, was sie als »Spätliberalismus« oder »Neoliberalismus« bezeichnet. Damit meint sie das gesellschaftspolitische Projekt der fast unkontrollierten Kapitalakkumulation, bei der die öffentlichen Gemeinden für den privaten Profit ausgeplündert werden. Beispielsweise durch die staatlich geförderte Einrichtung von Privatschulen, während gleichzeitig die öffentlichen Schulen vernachlässigt und preisgegeben werden. Kurzum, Neoliberalismus bedeutet den Triumph des Marktes über alle anderen sozialen Werte. Was bedeutet das nun, wenn wir an das geschlagene und gequälte Kind im Besenschrank denken? Die neoliberale Ära unter US-Präsident William »Bill« Clinton (1993–2001), die mit der Forcierung von Hinrichtungen begann und mit der Konsolidierung der Masseninhaftierungen endete, brachte auch den beispiellosen strafrechtlich-philosophischen Angriff auf Kinder, also Minderjährige, die Hillary Clinton mit dem neoliberalen Begriff von den »bösartigen Superraubtieren« belegte, die man »gefügig machen« müsse (ihre Worte!). Es ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass sich im US-Bundesstaat Pennsylvania als Ort mit der größten Anzahl von jugendlichen Lebenslänglichen auf der Erde bei der letzten US-Präsidentenwahl der Verlust von Wählerstimmen für die Kandidatin Hillary Clinton in zwei gesonderten Bevölkerungsgruppen zeigte: Von den Schwarzen erhielt sie zwar nur ein Prozent weniger Stimmen als Barack Obama bei seiner Wahl zum Präsidenten. Aber eine überwältigende Mehrheit von Gefängniswärtern und Justizangestellten stimmte für Donald Trump, obwohl Hillary Clintons Ehemann als Präsident hauptsächlich verantwortlich dafür war, dass für ihre Generation Arbeitsplätze geschaffen wurden, indem er 1994 auf der Basis der berüchtigten »Crime Bill« Milliarden an Bundestaaten wie Pennsylvania verteilte, damit sie neue Gefängnisse bauen konnten. Das schuf die Voraussetzungen dafür, dass Minderjährige wie das gequälte Kind in dem besenkammergroßen Verlies von Omelas in die Hölle der Erwachsenenknäste weggesperrt wurden, während die neureiche neoliberale Klasse Champagner trank und ihr gutes Leben genoss. |
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