Kolumne # 768 vom 7.09.2015 - Kolumne für Mumia von Kenneth Hartman: Verpasste Gelegenheit
07.09.15 (von maj) Standesorganisation der US-Psychologen verbietet ihren Mitgliedern die Beteiligung an Verhörmethoden. Ausnahme: In den Gefängnissen. Kolumne für Mumia Abu-Jamal
Link zum Artikel in junge Welt Nr. 207 vom 7. September 2015: Bitte HIER klicken!
Verpasste Gelegenheit
Von Kenneth Hartman
Die »American Psychological Association« (APA) hat kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der Geheimabsprachen aus dem Kreis ihrer Organisation mit staatlichen Folterern enthüllte. Die Absprachen waren Teil des »Krieges gegen den Terror«, der unter der Regierung des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush begann. Die Untersuchung der APA-Ethikkommission hatte ergeben, dass Mitglieder an Folterverhören beteiligt waren. Die Organisation sah sich deshalb dazu veranlasst, ihren Mitgliedern ausdrücklich zu verbieten, an der Erforschung und Entwicklung solcher Verhörmethoden teilzunehmen.
Ausgenommen von dieser Regelung wurde jedoch das Gefängnissystem samt aller Institutionen des Strafjustizapparates. Das ist eine enttäuschende, aber keine überraschende Entscheidung. Nach meinen eigenen, in 36 Jahren gemachten Erfahrungen haben Mediziner aller Fachrichtungen entgegen ihren bisherigen Beteuerungen, niemandem Schaden zufügen zu wollen, unterstützend bei grausamen und inhumanen Praktiken des Gefängnissystems mitgewirkt. Und zweifellos haben auch schon lange davor Ärzte und Krankenpfleger oft weggeschaut, wenn Gefangene verprügelt und misshandelt wurden. Immer wieder haben Psychologen und Psychiater Gutachten verfasst, mit denen die lang andauernde und durch nichts zu rechtfertigende Inhaftierung von Strafgefangenen abgesegnet wurde. Nichts davon ist also neu.
Was diejenigen, die mit den Abläufen in den Gefängnissen nicht vertraut sind, nicht verstehen, ist die Tatsache, dass diese Orte anziehend auf Leute wirken, die mit bestimmten Charaktereigenschaften und vorgefassten Meinungen an ihre Arbeit herangehen: die Schlägertypen und Minidiktatoren dieser Welt. Hier drinnen, also hinter den Elektrozäunen der Hochsicherheitsgefängnisse, gibt es keine wirkliche Dienstaufsicht, die ihnen bei ihrem verbrecherischen Tun Einhalt gebieten könnte. Hinzu kommt, dass professionelle Mediziner nicht die Hand des Großen Bruders beißen, der sie ernährt. Gefängnisärzte und -psychiater verdienen ungeheuer viel Geld und müssen dank des »Prison Litigation Reform Acts« (PLRA) und der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der USA nicht befürchten, wegen ihres gewissenlosen Handelns strafrechtlich belangt zu werden. Das PLRA wurde 1996 in den USA verabschiedet, um eine wachsende Flut von Strafanzeigen gegen Gefängnisbedienstete einzudämmen.
Die APA hat also eine äußerst gute Chance verpasst, im Interesse der Gefangenen eine Bresche in den gefängnisindustriellen Komplex zu schlagen. Hätte sie ihren Mitgliedern auch verboten, sich an den Repressionspraktiken in den Haftanstalten zu beteiligen, dann hätte das ein Anfang sein können, ein System zu delegitimieren, das dringend auf die Kumpanei mit Medizinern und Psychologen angewiesen ist, um seine Missachtung des Rechts von Gefangenen auf Unversehrtheit aufrechterhalten zu können. Aber die Standesvertretung der Psychologen wollte wohl nicht riskieren, dass Tausende von gutdotierten Jobs verlorengehen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beriefen sich deutsche Wehrmachtsoffiziere, die wegen Kriegsverbrechen angeklagt waren, darauf, sie hätten auf der Basis geltenden Rechts nur Befehle ausgeführt und dürften deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden. Diese sogenannte Nürnberger Verteidigungsstrategie wurde vom Kriegsverbrechertribunal jedoch zurückgewiesen. Weder Soldaten noch Ärzten, Psychologen oder gar Wärtern darf es zugestanden werden, sich an unmoralischem und unethischem Verhalten zu beteiligen und dann die alleinige Schuld dem System zuzuschieben.
Ich frage mich, ob diejenigen, die das tun, die Ironie des Schicksals begreifen werden, wenn die Stunde der Abrechnung kommt und sie nach ihrer Verurteilung voller Entsetzen erkennen müssen, was es bedeutet, auf Dauer hinter Mauern leben zu müssen – als Gefangene.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Kenneth E. Hartman ist Leiter des Projekts »Die andere Todesstrafe«, das sich gegen lebenslange Haft wendet, und seit 36 Jahren ununterbrochen in kalifornischen Gefängnissen inhaftiert
|
|
|
Nächste Termine |
|
Keine Termine bekannt.
|
|
Login |
|
|
|
|
|