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Mord an Tamir Rice: Täter entlastet

15.10.15 (von ivk-jw) Gutachten bescheinigt, dass die Erschießung eines 12jährigen schwarzen Jungen »objektiv gerechtfertigt« war. Kritik von Hinterbliebenen

Link zum Artikel in junge Welt Nr. 239 vom 15. Oktober 2015: Bitte HIER klicken!

Täter entlastet
Von Jürgen Heiser
In den USA sorgt erneut der Umgang der Justizbehörden mit einem Vorfall rassistischer Polizeigewalt für Kritik und Proteste. Ein am Montag veröffentlichtes juristisches Gutachten kam zu dem Schluss, der Tod des 12jährigen Afroamerikaners Tamir Rice aus Cleveland, Ohio, sei »objektiv gerechtfertigt« gewesen, weil sich der Polizist, der das Kind im November 2014 erschoss, »von ihm bedroht« gefühlt habe. So fasste Kimberly Crawford, eine pensionierte leitende Agentin der US-Bundespolizei FBI, laut ABC News ihre Analyse zusammen. Im Auftrag der örtlichen Staatsanwaltschaft hatte sie die Tat daraufhin untersucht, ob sie auch nach der US-Verfassung zu vertreten sei.
Ein Anwalt der Familie Rice nannte das Crawford-Gutachten sowie frühere gutachterliche Stellungnahmen ähnlichen Wortlauts gegenüber der Presse eine »Farce« und sagte, »diese angeblichen ›Experten‹ – allesamt auf seiten der Polizei – unterschlagen die simple Tatsache, dass die Beamten auf Tamir zustürmten und auf ihn schossen, ohne die Situation im geringsten abzuklären«.
Rice war im November 2014 von dem weißen Polizisten Timothy Loehmann auf einem Spielplatz in einem Stadtteilpark erschossen worden. Anwohner hatten die Polizei alarmiert, dort halte sich »ein Typ auf, der mit seiner Pistole auf Leute zielt«. Ein kurz nach dem Vorfall veröffentlichtes Video einer Überwachungskamera zeigt fünf Minuten lang, wie der Junge, der sich bei Winterwetter offensichtlich gelangweilt allein die Zeit vertreibt, mit seinen Füßen Schneeklumpen kickt und hin und wieder einen pistolenähnlichen Gegenstand aus seiner Weste zieht und Positionen einnimmt, als kämpfe er gegen imaginäre Angreifer. Dann setzt er sich still auf eine Bank in einem Pavillon.
In Minute sieben des Videos steht Rice gerade von der Bank auf, als plötzlich ein Streifenwagen auf ihn zufährt. Ein uniformierter Beamter springt mit gezogener Waffe aus dem Wagen und streckt den Jungen in der nächsten Sekunde mit zwei Bauchschüssen nieder. Tamir Rice erlag einen Tag später im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Er hatte nur mit einer harmlosen Softairpistole gespielt.
Crawford erklärte dazu in ihrer Studie, sowohl die Vorschriften als auch die US-Verfassung böten klare Leitlinien gegen ungerechtfertigtes polizeiliches Handeln. Vor diesem Hintergrund sei Loehmanns Schusswaffengebrauch gegen Rice jedoch gerechtfertigt gewesen. Der Beamte sei so vorgegangen, wie es in der Ausbildung trainiert werde. Es habe eine »Schrecksekunde« gegeben, in der Loehmann »um seine Sicherheit fürchten musste«, demgemäß habe er richtig gehandelt.
Pastor Jawanza Colvin gehört zur Aktivistengruppe »Cleveland 8«, die seit Tamirs Tod Demonstrationen und Eingaben für die strafrechtliche Verfolgung der verantwortlichen Polizisten organisierte. Er kommentierte das Crawford-Gutachten laut ABC News mit den Worten: »Durch das Vorgehen der hiesigen Staatsanwaltschaft beobachten wir, wie eine seit langem glimmende Glut sich nun in ein loderndes Feuer des Unrechts verwandelt.«
Seit Loehmann Tamir Rice am 22. November 2014 erschoss und damit landesweite Proteste gegen diesen erneuten Fall von rassistischer Polizeigewalt auslöste, haben unabhängige Beobachter in den Medien immer wieder darauf hingewiesen, dass die Beamten selbst erst die von ihnen zur Rechtfertigung vorgebrachte »Risikosituation« provozierten, indem sie mit ihrem Streifenwagen in hohem Tempo direkt auf die angebliche bewaffnete Person zufuhren.
Dazu schrieb Crawford, diese Argumente von Leuten »aus bequemer Zuschauerposition« hätten bei der Erörterung der Frage, ob die Gewaltanwendung von Polizisten gerechtfertigt sei, »nichts zu suchen«. Dem hielt Anwalt Walter Madison im Interview mit RT America im Namen der Familie Rice entgegen, es sei »nicht nachvollziehbar und nicht zu glauben«, dass die Polizisten erst durch ihren überstürzten Einsatz diese heikle Situation schufen und dann im Nachhinein die magischen Worte »Ich fürchtete um mein Leben« riefen. Dadurch werde nun der Tod eines 12jährigen afroamerikanischen Kindes gerechtfertigt.

 
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