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Kolumne # 692 vom 29.03.2014: Stunde der Heuchler

29.03.14 (von maj) Moskaus angeblicher »Landraub« auf der Krim und die Geschichte der Vereinigten Staaten

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 75 – 29./30. März 2014

Seit dem Anschluß der Krim an die Russische Föderation drehen US-Politiker völlig durch, vergleichen den Vorgang mit der Besetzung Polens durch die Hitler-Truppen, fletschen die Zähne und tönen herum, das sei eine »Verletzung des Völkerrechts« und »Landraub«. Fast aus dem Stand heraus verhängten US-Regierung und Europäische Union Sanktionen über Rußland, um damit die angebliche »Bedrohung durch regionale Destabilisierung« zu ahnden.
Wenn US-Amerikaner anderen »Landraub« vorwerfen, fällt ihnen das im Angesicht ihrer eigenen Geschichte auf die Füße. Die Vereinigten Staaten von Amerika verdanken ihre Existenz einem gewaltigen Landraub, den die europäischen Eroberer zuerst an den sogenannten Indianern und später an den Mexikanern begingen. War dieser Landraub illegal? Selbstverständlich. Wurde dadurch das Völkerrecht verletzt? Absolut! Bei den hier infrage kommenden Verträgen geht es schließlich um Pakte zwischen Nationen. Seit Gründung der USA hat Washington so viele Verträge mit den indigenen Nationen gebrochen, daß es schon peinlich ist, nur daran zu erinnern.
Weiß heute noch jemand, daß Texas früher zu Mexiko gehörte? Als Mexiko die Sklaverei verbot, rebellierten die euroamerikanischen Texaner und riefen 1836 die unabhängige Republik Texas aus. Nach knapp zehn Jahren wurde Texas dann von den USA annektiert, nachträglich gebilligt durch den US-Kongreß am 1. März 1845. Und die heutigen US-Bundesstaaten Nevada, New Mexico, Arizona, Utah, Colorado und California? Sie alle gehörten einst zu Mexiko, bis die USA Krieg gegen Mexiko führten, um diesen Landraub zu rechtfertigen. Am Ende des Mexikanisch-Amerikanischen Krieges im Jahr 1848 ging über eine halbe Million Quadratmeilen des bisherigen mexikanischen Landes in den Besitz der Vereinigten Staaten über.
Ich bin kein Fachmann für die Geschichte der Krim oder Rußlands, ich weiß nur, daß die Krim 1783 vom zaristischen Rußland annektiert wurde. 1954 wurde die Halbinsel der Ukrainischen Sowjetrepublik angegliedert und ging mit der Ukraine 1991 nach Auflösung der Sowjetunion in die Unabhängigkeit. Schon damals konnte Kiew eine von der mehrheitlich russischen Bevölkerung gewünschte Loslösung der Krim nur durch den Kompromiß verhindern, der Krim einen Autonomiestatus zuzubilligen. In diesem Lichte betrachtet, hatte die Russische Föderation weitaus eher Anspruch auf die Krim als die USA auf den ganzen Nordwesten Mexikos, in dem Latinos in ihrem eigenen Land wie Einwanderer behandelt werden.

Sollen die USA also in der Logik ihrer heutigen Argumentation bezüglich der Krim ihre geraubten Gebiete im Südwesten wieder an Mexiko zurückgeben? Und sollen die USA auch die nach Millionen Quadratmeilen bemessenen Gebiete, die sie sich von den indigenen Nationen durch Bruch völkerrechtlicher Verträge erschwindelt haben, auch wieder zurückgeben? Schon die Frage aufzuwerfen, kommt einem heute dumm vor.
Unser nördlicher Nachbar Kanada hat 1999 ein ausgedehntes Gebiet in seinem arktischen Norden abgetrennt und den Nachfahren der ursprünglichen Bevölkerung der Inuit zurückgegeben. Das Land heißt seitdem Nunavut – in der Sprache der Inuit »unser Land«. Es hat ungefähr die Ausmaße der ehemaligen französischen Kolonialgebiete in Nordamerika, die Frankreich 1803 im Rahmen des »Louisiana Purchase« für 15 Millionen US-Dollar an die USA verkaufte, wodurch sich das Staatsgebiet der USA praktisch über Nacht verdoppelte. Aus der Perspektive der USA erscheint es verrückt, Land an seine Bewohner zurückzugeben. Kanada hingegen hat damit Geschichte geschrieben.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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