Kolumne # 688 vom 1. 03.2014: Für das System unverzeihlich
01.03.14 (von maj) Nach absurdem Urteil: Seit 36 Jahren sitzen acht Mitglieder von MOVE in Haft
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 51 – 1./2. März 2014
In einem meiner früheren Artikel über den gerade zu Ende gegangenen »Black History Month« Februar habe ich den Mangel an Wissen über die afroamerikanische Geschichte vor allem bei jungen Schwarzen thematisiert. Wer bestimmte Phasen der afroamerikanischen Realität durchlebt hat, weiß über die wichtigen Ereignisse seiner Zeit Bescheid, selbst wenn dieses Wissen durch die Optik der US-Medien, die zumeist Handlanger der »White Power« sind, gefiltert wurde. Doch schon eine Generation später können diese Ereignisse in das Bermudadreieck des Vergessens geraten und für immer verschwinden. Was so dem kollektiven Erinnern verloren geht, wird in keiner Schule gelehrt, und so wachsen neue Generationen praktisch ohne Wissen über die Vorgeschichte gesellschaftlicher Konflikte und Kämpfe heran.
Die ursprüngliche Konfrontation zwischen der afroamerikanischen Organisation MOVE und der Staatsmacht, die zwischen 1977 und 1978 einen ersten Höhepunkt erreichte und bei der die Polizei mit Schußwaffen, Wasserkanonen, Abrißbaggern und brutalen Prügelorgien gegen die Bewohner des MOVE-Wohnhauses im Stadtteil Powelton Village von West-Philadelphia vorging, endete schließlich mit der Verhaftung von fünf Männern und vier Frauen, seither als die »MOVE Nine« bekannt.
Das war vor 36 Jahren. Damals hieß der US-Präsident Jimmy Carter, der Boxer Muhammad Ali verlor zunächst seinen Weltmeistertitel im Schwergewicht an Leon Spinks und gewann ihn bald darauf zurück. Und in Philadelphia wurden die »MOVE Nine« wegen Totschlags an einem Polizisten zu 30 bis 100 Jahren Gefängnis verurteilt. Noch nie zuvor in der neueren Geschichte des US-Bundesstaats Pennsylvania war für Totschlag eine solch hohe Strafe verhängt worden. Wer sich näher mit diesem Fall befaßte, stellte bald fest, daß die MOVE-Frauen nicht wegen Waffenbesitzes angeklagt waren und trotzdem die gleichen Strafen erhielten wie ihre männlichen Mitangeklagten. Und sonderbarerweise waren auch die Männer zwar wegen Totschlags angeklagt, aber nicht wegen Waffenbesitzes! Wie beispielsweise Eddie Africa. Er wurde in West-Philadelphia geboren, wuchs dort auf und führte ein Leben wie die meisten Jugendlichen seines Alters; er feierte gern Partys und war ständig auf Drogen. Erst als er auf MOVE traf, änderte sich das grundlegend. Die Botschaft von MOVE radikalisierte ihn und machte ihn zu einem Teil einer Bewegung, die größer war als er selbst. Dann spitzten sich 1978 die Ereignisse zu, die Polizei versuchte das MOVE-Haus zu stürmen, wobei ein Polizist umkam – laut Zeugenaussagen nicht durch Einwirkung der Hausbewohner, sondern im »friendly fire« seiner Kollegen.
Aber dieser entscheidende Unterschied in der Bewertung des Vorfalls spielte keine Rolle. MOVE – laut, schwarz und stark – sollte gestoppt werden, und Richter Edwin Malmed war das ideale Werkzeug dazu. Er verurteilte Eddie Africa (immer noch laut, schwarz und stark) wegen Totschlags, obwohl er in diesem Zusammenhang nicht beschuldigt worden war, eine Waffe benutzt zu haben. Und die anderen MOVE-Mitglieder verurteilte Malmed gleich mit, denn, wie er nach dem Prozeß gegenüber der Presse erklärte, die MOVE-Mitglieder »wurden als Familie vor Gericht gestellt, deshalb habe ich sie auch als Familie verurteilt«.
Bis heute verweigert die US-Justiz Eddie Africa und den anderen noch lebenden sieben Mitgliedern der »MOVE Nine« die Entlassung auf Bewährung, obwohl sie bereits seit sechs Jahren ihre Mindeststrafe abgesessen haben. Eddie war 29 Jahre alt, als er ins Gefängnis kam, heute ist er 65 Jahre alt. Aber weil er MOVE angehört, ist seine Unschuld nebensächlich. Auch bei seinen sieben Mitangeklagten war die Frage von Schuld oder Unschuld nicht ausschlaggebend dafür, warum sie ins Gefängnis geworfen wurden. Das geschah allein deshalb, weil sie an die Lehren des MOVE-Gründers John Africa glauben und weil sie MOVE-Mitglieder sind. Für das System ist genau das unverzeihlich.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Weitere Infos und Kontakt:
http://onamove.com/
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