Kolumne # 661 vom 24.08.2013: Kein Grund zum Feiern
24.08.13 (von maj) Zum 50. Jahrestag des »Marsches auf Washington« versuchen Martin Luther Kings einstige Gegner, ihn zum stummen Popanz zu machen. Grauenhafte Gegenwart vieler Schwarzer in den USA wird verdrängt
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 196 – 24./25. August 2013
Bald werden Fernsehprogramme und Zeitungen wieder grobkörnige Schwarzweißfotos und -filme zeigen, und Radios werden von alten knisternden Tonbändern die Rede von Martin Luther King ausstrahlen, in der er ausrief: »Ich habe einen Traum«. Anlaß für das Medienspektakel sind die heuchlerischen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des »Marsches auf Washington« am 28. August 1963. Das Bedauerliche an solchen Veranstaltungen ist, daß sie kristallklar zeigen, wie schlecht die Dinge sich für viel zu viele von uns weiterentwickelt haben. Wir feiern ein historisches Ereignis und ignorieren dabei unsere grauenhafte Gegenwart. Wir blenden aus, wie sehr sie von einer Ungleichheit geprägt ist, die jede Vorstellungskraft übersteigt.
Nehmen wir das Gefängnissystem, diese Schande von gigantischen Ausmaßen. Dabei müssen wir noch nicht einmal die geheimen Gefängnisse erwähnen, die »schwarzen Orte« der CIA, in denen Folter und Tod herrschen. Der Zustand der Bundesgefängnisse und die ungeheure Zahl von Isolationstrakten sind schon schlimm genug. Dann das öffentliche Schulsystem – es bricht schneller zusammen als Eisberge in der Antarktis. Lehrer werden in der Öffentlichkeit bewußt verteufelt und mit Geringschätzung gestraft. So sollen sie aus dem Schuldienst getrieben werden, damit anstelle der staatlichen Schulen Privatschulen errichtet werden können, aus denen privater Profit zu schlagen ist. Die heruntergewirtschafteten öffentlichen Schulen sind Vorhöfe der Gefängnisse und Orte, an denen unsere Kinder geistig verkümmern.
Und schließlich die Wohnverhältnisse: Die Diebe und Betrüger aus Banken und Finanzbranche der Wall Street haben durch die illegale Manipulation von Hypothekengeschäften mehr Vermögen gestohlen als jede andere Form organisierter Kriminalität es je vollbracht hat. Wie die Autorin Laura Gottesdiener in ihrem gerade erschienenen Buch »A Dream Foreclosed: Black America and the Fight for a Place to Call Home« (auf deutsch: »Der zwangsgeräumte Traum: Das schwarze Amerika und sein Kampf für einen Ort, den man Zuhause nennen kann«) nachweist, sind über zehn Millionen Menschen wegen der Krise, die die Immobilienblase hervorgebracht hat, aus ihren Eigenheimen geworfen worden. Zehn Millionen! Laut US-Finanzministerium bedeutet das die Vernichtung eines Vermögens von mehr als 19,2 Billionen US-Dollar. Damit haben schwarze US-Bürger in den letzten zehn Jahren mehr Vermögen verloren als zu jeder anderen Zeit seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Auch der hispanische Teil der US-Bevölkerung hatte überproportional unter den Folgen der geplatzten Immobilienblase zu leiden.
Martin Luther King sprach 1963 in seiner Rede nicht nur über »Träume«, sondern über ökonomische und soziale Gerechtigkeit. Durch die dramatische Passage seines Ausrufs »Ich habe einen Traum« geriet seine Botschaft jedoch in den Hintergrund. Heutige schwarze Politiker, von denen sich einige ihr Schweigen zum gigantischen Raub der Eigenheime gut bezahlen ließen, schließen die Augen vor dem Gemetzel, von dem das schwarze Amerika zerrissen wird. Deshalb wird es kommende Woche prunkvolle Feierlichkeiten geben, man wird lachende Gesichter sehen, Glocken werden läuten, Flöten ertönen, Gebete gesprochen. Und gerade jene politischen Kräfte, die sich zu Kings Lebzeiten gegen ihn stellten, werden ihn heute zum stummen Popanz machen. King war indes vor allem in seiner letzten Lebensphase ein radikaler Gegner des Materialismus und Militarismus, des globalen imperialen Krieges und Rassismus. Die Kräfte jedoch, die King heute feiern, brachten Unheil über sein Volk und die Armen dieser Nation, weil sie fünfzig Jahre lang in die falsche Richtung marschierten.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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